Vor 75 Jahren – 1946 – Ein kurzer Rückblick

Nach dem Kriegsende sind die Familienmitglieder durch Flucht und Vertreibung in Deutschland verstreut, die Männer in Gefangenschaft. Durch ihren regen Briefwechsel über die „zentrale Kommunikationsstelle der Familien“ Ursula und Mutter Hedwig Benkowitz in Frankfurt erfahren wir im ersten Friedensjahr nach dem sechs Jahre dauernden Zweiten Weltkrieg über die Nöte, den Hunger, die Leiden und Schwierigkeiten, in den fremden deutschen besetzten Bundesländern – im eigenen Land – Fuß zu fassen.

Am 15.12.1946 schreibt Erich Naß aus der französischen Gefangenschaft nach Frankfurt an seine Nichte Ursula, Tochter von unserem Protagonisten Hermann Benkowitz und meinem Großonkel.

CORRESPONDANCE DES PRISONNIERS DE GUERRE
704736/ 41 Amboise Camp du Ruchard

Liebe Ursel,
habe vielen Dank für deinen so langen Brief, wo ich mich sehr zu gefreut habe. Leider kann ich nicht so viel schreiben, trotzdem ich so viel auf dem Herzen haben. 2 B(riefe) und 2 Karten kann ich den Monat schreiben, aber es kostet mir meine 300 gr. Brot von einem Kameraden. Ich aber opfer sie, denn … ist stets eine große Freude und auch Tante Martha Uschi u. Ilse warten mit Sehnsucht drauf … freu ich mich besonders, dass ihr alle wohlauf seid, was ich auch von mir sagen kann. Sonst habt ihr ja auch reichlich eure Not. nun auch für die mütterlosen Kinder zu sorgen. Man hört weiter nichts als Not und Elend, auch von Oma und Meta erhielt ich gestern 1 Brief. Alles klagt und keiner kann helfen. Diese Not wird wohl noch lange anhalten, denn Deutschland ist die Länder der landwirtschaftlichen Produktion los geworden. Denke dran was polnisch ist. Die Hoffnung aber wollen wir nicht verlieren u. und nehmen sie mit ins neue Jahr, das uns das ersehnte Wiedersehen bringen möge. …

Der Hungerwinter 1946/47 zwischen November und März war einer der kältesten Winter in Deutschland seit Jahrzehnten und gilt als strengster Winter des 20. Jahrhunderts im Nordseeraum.

Aus Berlin schreibt Schwägerin Ida Mewe, meine Großmutter, am 23.12.46, an die Benkowitz’ in Frankfurt.

Liebe Schwägerin, Schwager und Ursel!
Nun zum neuen Jahr will ich Euch die besten Glücks- und Segenswünsche bringen. Hoffentlich seid ihr alle 3 gesund, was ich auch von mir sagen kann. Das Weihnachtsfest ist nun vorüber, dachte Heinz [Anm.: Sohn vom zweiten Mann Mewe] würde kommen, er hat wohl keine Fahrgenehmigung bekommen. auch ist er seit September verheiratet. Nun bin ich ganz alleine und werde es wohl auch bleiben. Ursel hatte mir auch geschrieben, ich danke dir auch dafür, ich konnte Eure Anschrift nicht finden, denn ich habe viel durchgemacht, es ist ein Wunder, dass ich noch lebe. Denn in der Veteranenstraße habe ich alles verloren, war hier in unserer Mari ihre Tochter Herta ihre Wohnung, waren auch schöne Sachen ist aber alles abgeholt weil der Mann P.g.(Parteigenosse?) was nun habe ich dadurch? viel Arbeit und Sorgen wieder etwas angekauft 1 Schrank und ein Bettgestell von Stadt Berlin geborgt bekommen. Betten, Wäsche Kleider Anzüge Schuhzeug alles ist in Kolberg (Anm. Pommern) geblieben, durch Nähen habe ich etwas Wäsche wieder bekommen auch sind wir im Hunger Sektor Französisch, kein Gemüse, keine Feuerung, bei Christa [Anm.: Idas Tochter und Mutter der Autorin in Konstanz, das nicht bombarbiert wurde!] das gleiche auch Französisch. … noch weniger wie 200 [Gramm] Brot pro Tag. Raimund [Christas Mann] war 7 Monate krank. Bodo [eins von Christas vier Kindern] hatte etwas an der Lunge vollständig unterernährt. Zu unsere Christa ihr Los ist auch schwer, ich möchte ihr so gerne helfen, aber meine Hände sind gebunden.

War 1946 für die, den Krieg überlebenden Menschen, das Jahr der Befreiung?

»Nur« ein Auszug aus dem Bildband Leben unter dem Hakenkreuz,  lesen Sie noch viel mehr über Ereignisse, Erlebnisse von den pommerschen und westpreußischen Mitgliedern der Familien Benkowitz und Naß im und nach dem Zweiten Weltkrieg, die auch Ihre Vorfahren erlebt haben könnten.

Dagmar Stange
Dezember 2021

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